Next Communication: In diesem Punkt liegen Top-Entscheider falsch

cropped-christoph.jpg Christoph Grimsel - 1st Mrz, 2023

Die Umfrage „Next Communication – Eine Studie zur Zukunft der Kommunikation“ der Telekom vereint verschiedene Ansichten von Kommunikationsverantwortlichen, Wissenschaftlern und Top-Entscheidern und zur Frage, wohin sich die Kommunikation in Unternehmen in den nächsten Jahren entwickeln wird. Die Studie umfasst dabei Fachgebiete wie Public Relations, Marketing oder Markenführung. Was sich die Kommunikationsverantwortlichen innerhalb der Top-Entscheider-Riege unter „moderner Unternehmenskommunikation“ vorstellen, regt zur Diskussion an, ob sie „modern“ lediglich als Synonym für „kontrollierbar“ verwenden – und damit genau das Gegenteil erreichen.

Der Studienabschnitt „Organisation und Zusammenarbeit“ konzentriert sich auf die Aussagen von Wissenschaftlern und Top-Entscheidern zur Frage, welche Organisationsform sinnvoll ist, um die Ziele einer zukunftsgerechten Kommunikation (Next Communication) zu erreichen – wobei ich hier vor allem die Ansichten von Kommunikationsverantwortlichenletzterer zur Diskussion stellen möchte.

Zunächst unterscheidet die Studie vier Perspektiven auf die Organisation von Kommunikation: strukturell, kulturell, personell und strategisch.

Unternehmenskommunikation: Journalistische Wurzeln zu stark ausgeprägt

Aus strategischer Perspektive heraus definieren alle befragten Top-Entscheider verschiedener Branchen die „Auflösung des Modernisierungsstatus“ als den ersten und wichtigsten Schritt in Richtung Next Communication. Was zunächst sperrig klingt, bedeutet nichts anderes, als dass Kommunikation (egal ob es dabei um PR, Marketing oder Markenführung geht) „moderner“ werden muss.

Doch was meinen Executives genau damit?

In der Studie konkretisieren Kommunikationsverantwortlichedes Top-Entscheider-Panels die Forderung, dass die Kommunikation ihren Status Quo verändern muss, mit der Kritik: Noch immer werden zu viele strategische Kompetenzen an externe Agenturen ausgelagert. Kommunikationsverantwortliche des Executive-Panels führen das auf Digitalisierungslücken zurück. Zudem habe sich die Unternehmenskommunikation noch nicht überall von ihren journalistischen Wurzeln und Media Relations gelöst.

In einem Zwischenfazit halten alle befragten Entscheider den „Professionalisierungsgrad der Branche“ allgemein für ausbaufähig. Ein ähnliches, dem Journalismus gleichermaßen abgeneigtes, Bild zeichnen die befragten Führungskräfte im Übrigen auch bei der Analyse der personellen Perspektive: Sie halten die Ausbildung (beispielsweise an Universitäten) für “zu journalistisch”.

Über unklare Motive

Im Umkehrschluss bedeuten die oben genannten Forderungen demnach, dass es für eine moderne und professionelle Kommunikation mehr interne Strukturen braucht, welche sich in ihrer Arbeit im Bereich der Unternehmenskommunikation mehr von den Medien lösen sollen.

Da in der Studie unklar bleibt, was mit „lösen“ eigentlich gemeint ist, interpretiere ich den Begriff im Sinne einer Reduzierung: Sich von Medien zu lösen, meint weniger mit ihnen zu interagieren und zu kooperieren. Weiterhin bleibt unklar, welche Szenarien ein solcher Lösungsvorgang umfasst, daher interpretiere ich, dass es sich um eine allgemeine und allumfassende Reduzierung handelt.

Der Bereich Unternehmenskommunikation unterscheidet sich in seiner Ausrichtung. Die Arbeit mit Journalisten und Media Relations findet (größtenteils) in der externen Unternehmenskommunikation statt. Ich gehe in meiner Darstellung davon aus, dass sich die Top-Entscheider, die sich vom Journalismus distanzieren wollen, ausschließlich auf die Public-Relations-Arbeit beziehen.

Eine der Aufgaben von PR ist es, externe Bezugsgruppen des Unternehmens mit Informationen zu versorgen: Ein Vorgang, der – als ein Grundpfeiler der PR – auch über die Presse abgewickelt wird. Dabei ist es im Grunde genommen egal, ob das PR-Format eine klassische Pressemitteilung für die breite Öffentlichkeit, ein Kommentar für Wirtschaftsvertreter oder ein Fachartikel für (potenzielle) Kunden ist: Journalismus und Medienkontakte sind für die Umsetzung dieser Formate essenziell. Journalismus ist omnipräsent.

Es drängt sich nun die Frage auf, warum Top-Entscheider in Unternehmen eine der wichtigsten Säulen der Unternehmenskommunikation minimieren und aufgeben wollen. Was ist ihre Motivation? Die Studie gibt auch hier keinen konkreten Aufschluss auf die Antwort dieser Frage, weshalb ich in meiner Darstellung bisweilen mit Vermutungen und Unterstellungen arbeite. 

Next Communication: Weniger Journalismus, mehr Kontrolle?

Unternehmen können mit ihren Stakeholdern auch auf anderen Wegen als über Journalisten und die Presse in Kontakt treten oder sie mit Information versorgen: Etwa über eigene Webinare, Verbandsgespräche und öffentliche Talk-Runden, Podcast- und Video-Interview-Formate oder auf Messen und anderen (teil)öffentlichen Branchenveranstaltungen.

Stellt man die Struktur verschiedener Formate gegenüber, lassen sich alle Arten der Stakeholder-Information nach einer Kategorie unterscheiden: der Kontrollierbarkeit der Nachricht.

  1. Format, in dem sich die Nachricht vollständig kontrollieren lässt und in dem kein externer Einfluss herrscht
  2. Format, in dem sich die Nachricht mittelmäßig kontrollieren lässt und in dem wenig bis mittlerer externer Einfluss herrscht
  3. Format, in dem sich die Nachricht schwer kontrollieren lässt und in dem häufig externer Einfluss herrscht
  4. Format, in dem die Nachricht unkontrollierbar ist und welches von externem Einfluss geprägt ist

Freilich lassen sich nicht alle Formate, in denen die Presse involviert ist, eindeutig in das oben genannte Cluster einordnen.

  • Ein Fachartikel in einem Branchenmagazin enthält schließlich einen großen Messaging-Anteil des Unternehmens, wird nur geringfügig kontrolliert (etwa im Sinne werblicher Aussagen) und findet trotzdem in „der Presse“ statt.
  • Ein Interview mit einem nationalen Tagesmedium findet in der Presse statt und wird (selbst wenn das ursprüngliche Interview einen beachtlichen Messaging-Anteil des Unternehmens enthält) häufig in einen größeren Artikel-Kontext gesetzt. Dies kann zu einer Reduktion Messaging-Anteils im Interview führen und einen Kontrollverlust über die Nachricht seitens des Unternehmens begünstigen.
  • Investigativ-Recherchen von Pressevertreter – und daraus resultierende Berichterstattungen über das Unternehmen – entziehen sich fast vollständig der Kontrolle des Unternehmens (abgesehen von der Korrektur falscher Darstellungen) und sind stark von externen Einflüssen geprägt (etwa Ex-Mitarbeitende als Informationsquelle, Voreingenommenheit von Journalisten etc.).

Setzt man den Wunsch von Top-Entscheidern und ihren Kommunikationsverantwortlichen nach weniger Presse in Relation zur Kontrollierbarkeit der Nachricht, ergäbe sich die Schlussfolgerung: Je weiter sich Unternehmen in ihrer externen Kommunikation vom klassischen Journalismus und Medienkontakten entfernen, desto einfacher können sie ihr Messaging und das Publikum, das in der Öffentlichkeit erreicht werden soll, kontrollieren.

Führungskräfte unterliegen meiner Meinung nach jedoch einem Irrglauben, wenn sie annehmen, dass weniger Abhängigkeit gegenüber klassischen journalistischen Strukturen und Medienkontakten zu einer Verbesserung der eigenen externen Kommunikation und der Kontrolle über sie führt. Sie sollten exakt das Gegenteil anstreben und so intensiv wie möglich mit Journalisten zusammenarbeiten, ihre Media Relations ausweiten und das klassische Verhältnis zwischen PR und der Presse um jeden Preis nutzen.

“Next Communication” entspricht „Misguided Communication”

Jedes Unternehmen steht in einer gewissen Beziehung zur Gesellschaft und ihren Akteuren – oder trägt ihnen gegenüber sogar eine Verantwortung – sei es aus eigenem Antrieb oder aufgrund seiner grundlegenden Geschäftstätigkeit. Dabei ist es im Grunde genommen egal, ob es sich dabei um Gesellschaftsteilnehmer im Sinne einer ausdefinierten Stakeholder-Gruppe handelt oder um einzelne, beliebige und völlig unbeteiligte Privatpersonen handelt.

Wichtig ist: Sie alle informieren sich mit Hilfe von (Massen)medien über öffentliches Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschehen.

Durch ihren Ruf als objektive und unabhängige Informationsorgane sind Journalisten und Medien für Unternehmen wichtige Reputationsorgane, um Einfluss und Vertrauen in der Gesellschaft zu gewinnen. Indem Kommunikationsverantwortliche aus der Top-Entscheider-Riege den Weg wählen, Presseanstrengungen zu reduzieren, reduzieren sie gleichzeitig ihr (möglicherweise bislang ungenutztes) Organ in der Öffentlichkeit. Sie verpassen und reduzieren die Chance, eine gesellschaftliche, positive Reputation auf- und auszubauen. Das gilt vor allem für die Unternehmen, die noch nicht im Fokus der Medien stehen, die aber das Potenzial haben einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten — und darüber sprechen könnten und sollten – um ihrer Reputation willen.

Für Unternehmen, die bereits in den Medien präsent sind, besteht grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit, dass sie Teil eines öffentlichen Konflikts werden. Beispiele hierfür sind der falsche Umgang mit Kündigungssituationen, die von Journalisten aufgedeckt und öffentlich thematisiert werden oder etwa Kommentare über den vom Journalisten individuell als „falsch“ wahrgenommenen Umgang eines Unternehmens mit gesellschaftlicher Verantwortung. In einer solchen Konfliktsituation keinen guten Kontakt zu Journalisten oder zur Redaktion allgemein zu haben, ist ein Spiel mit dem Feuer. Indem Unternehmen langfristig gute Beziehungen zur Presse pflegen, Vertrauen auf- und ausbauen und transparent, offen und regelmäßig kommunizieren, erhöhen sie die Chance, ihre Organisation in einer Krise (oft bereits im Vorfeld) besser zu positionieren – in dem Sinne, dass sie die Berichterstattung positiv (oder zumindest mit dem Ziel einer transparenten Darstellung des Sachverhaltes) beeinflussen können. Verfolgen Kommunikationsverantwortliche des Executive-Panels den von ihnen gewünschten Next-Communication-Ansatz, reduzieren sie nicht „nur“ Medienkontakte, sondern auch ihre Chancen, in einer Konfliktsituation (oder davor) von Redaktionen (an)gehört zu werden.

So wird aus dem (von mir vermuteten) Wunsch der Kommunikationsverantwortlichen unter den befragten Top-Entscheidern, durch reduzierte Medienkontakte mehr Kontrolle zu gewinnen, ein Szenario, in dem sie Chancen verpassen und in bestimmten Situationen sogar die Kontrolle aufgeben.

So würde aus „Next Communication“, „Misguided Communication“ – und ob eine solche Strategie als sinnvoll, modern und nachhaltig gilt, stelle ich hier gerne zur Debatte.

Fazit

In der aktuellen Telekom-Studie „Next Communication – Eine Studie zur Zukunft der Kommunikation“ definieren Top-Entscheider aus unterschiedlichen Branchen unter anderem ihre strategische Vision einer zukunftsfähigen externen Unternehmenskommunikation. Dabei fordern Kommunikationsverantwortliche innerhalb der Entscheider-Riege, dass sich die Kommunikation von ihren journalistischen Wurzeln und den Media Relations lösen muss. In meiner Darstellung interpretiere ich „lösen“ als „reduzieren“. Da die Studie nicht konkretisiert, warum sich Top-Entscheider vom Journalismus und Medienkontakten distanzieren wollen, unterstelle ich in meinem Beitrag, dass sie dies aus dem Willen um mehr Kontrolle in der Unternehmenskommunikation heraus fordern. Im Irrglauben, dass sie mit einer Reduktion ein positives Mehr-Maß an Kontrolle erhalten würden, haben sie in der Realität lediglich Chancen eingebüßt ihre Reputation in der Gesellschaft zu stärken und geben Einfluss und Kontrolle in potenziellen Krisensituationen ab. Top-Entscheider und ihre Kommunikationsverantwortlichen sollten ihre Visionen dringend überdenken!

Erzählen Sie uns von Ihren Projekten