Die Debatte um den Gebrauch geschlechtergerechter Sprache gehört in Deutschland zu den größten politischen und gesellschaftlichen Diskursen der letzten Jahre. In der Diskussion gehen die Meinungsbilder weit auseinander und ein baldiger Konsens ist nicht abzusehen. Auch in der PR wird Gendersprache bislang größtenteils uneinheitlich verwendet und folgt (allem Anschein nach) keinem konkreten Vorgehen. Ist eine der wichtigsten Diskussionen dieser Zeit für die PR, einer strategiegetriebenen, gesellschafts- und politiknahen Profession, also nicht mehr als eine undefinierte und unausgereifte Praxis? Wie können PR-Verantwortliche einen Konsens finden und einen Planungsansatz für eine Regelung der Gendersprache entwickeln? Und scheitern Regelungen am Ende nicht an einer Kundenstrategie seitens der PR, sondern an Redaktionsrichtlinien?
Meine erste Erfahrung mit der Ablehnung von geschlechtergerechter Sprache in der PR machte ich, als mich der Journalist eines IT-Magazins, nach Durchsicht eines gegenderten Artikel-Abstracts, darum bat das generische Maskulinum für den Artikel im Magazin seines Verlags zu nutzen. Der Journalist begründete seine Entscheidung mit redaktionellen Vorgaben und Lesbarkeit – seine Aussage war eindeutig und ließ keinen Diskussionsspielraum.
Zu wenig Strategie
Ich wusste bereits, dass einige Kunden von Ballou bewusst eine Gendersprachpraxis verfolgten und auch, dass viele Unternehmen, mit denen Ballou arbeitete, bislang keine Position zum Thema bezogen hatten. Mir war zudem bewusst, dass meine Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Auffassung über ihren Gebrauch und ihre Handhabung bei den Klienten waren. Die Antwort auf die Frage, wie man richtig mit den Anforderungen eines Journalisten umginge, wenn doch Redaktionen, Kunden und Beratende verschiedener Auffassung über den Gebrauch von Gendersprache waren, zeigte mir, dass das Thema, trotz seiner Relevanz, offenbar wenig koordiniert behandelt wurde: Gegendert würde je nach Wunsch des Kunden (wenn er eine Position dazu habe), nach persönlicher Präferenz oder (wenn dies bekannt ist) nach den Wünschen der Redaktion.
Strukturen schaffen: Deutscher Rat für Public Relations bietet Konzeptgrundlage
Damit Gendersprachpraxis in der deutschen Pressearbeit nicht von einer solchen Willkür, Variabilität und fehlender Diskursintegration des Kunden geprägt ist, sollte ihr Gebrauch (oder Nichtgebrauch) einer Strategie folgen, in der der Klient in erster Instanz eine Position beziehen und eine Entscheidung treffen kann. Hilfreich ist es hierbei, sich auf eine geltende Richtlinie im Fach zu stützen. Das schafft eine einheitliche Basis und Argumentationsgrundlage.
Es geht hierbei in erster Linie nicht darum, dass darüber entschieden wird, eine Form des Genderns (Doppelpunkt-, Sternchen-Methode etc.) zu nutzen oder nicht zu nutzen. Es geht darum, dass der Kunde generell in den Diskurs integriert wird, über die Gesprächsgegenstände und Methoden aufgeklärt wird und anschließend selbst eine Entscheidung treffen kann. Eine Entscheidung, die sich mit den Anforderungen seiner eigenen Organisation deckt. Die Frage, die also vor einem potenziellen “Wie wird gegendert?” stehen sollte, lautet also “Will der Kunde, dass gegendert wird?”. Letztere Frage soll im Vordergrund der hier vorliegenden Überlegungen stehen.
Der Deutsche Kommunikationskodex (Deutscher Rat für Public Relations) gilt bis heute als von den wichtigsten Branchenverbänden getragenes Organ der freiwilligen Selbstkontrolle und gibt PR-Verantwortlicheneinen verbindlichen Verhaltensrahmen für die tägliche Arbeit mit an die Hand. Durch seine Institutionalisierung bildet das Regelwerk eine fachliche Planungsgrundlage, die auf den heutigen Diskurs in der PR angewendet werden kann.
Insbesondere der erste Teil des zweiten Satzes von Regel elf gibt Aufschluss darüber, dass PR-Schaffende bei der Kundenarbeit und Strategiekonzeption grundsätzlich ihre eigenen Interessen zurückstellen sollten:
(11) PR- und Kommunikationsfachleute verhalten sich loyal gegenüber ihren Arbeit- oder Auftraggebern, soweit dies keine rechtlichen Bestimmungen und keine ethischen Normen verletzt. Sie vertreten die Interessen ihrer Auftraggeber, bewahren sie vor Schaden und wehren illegitime Ansprüche ab.
In der Diskussion um geschlechtergerechter Sprache in der deutschen Pressearbeit würde das bedeuten, dass wenn Beratende eine Gendersprachpraxis ohne Zustimmung des Kunden verfolgen (oder sie unterlassen), sie prinzipiell gegen seine Interessen verstoßen – und zwar so lange, bis eine Entscheidung dafür oder dagegen von Seiten des Kunden getroffen wurde. An dieser Stelle sei zur Diskussion geladen, ob ein aktives Durchführen oder Unterlassen einer Tätigkeit prinzipiell in einem Interesse handelt oder gegen ein Interesse verstößt.
Wenn sich PR in Deutschland also einheitlich einer Gendersprachpraxis widmen will, wird eine Diskursintegration des Klienten also zwingend notwendig.
Bei deutschen Kunden, die sich Beratenden gegenüber noch nicht dazu geäußert haben, ob Gendersprachpraxis für sie (nicht) infrage kommt, müssen PR-Verantwortliche davon ausgehen, dass ihre Klienten sich noch nicht mit dieser Frage beschäftigt haben. Das Dafür oder Dagegen wäre sonst von Anfang an kommuniziert worden (oder spätestens bei der Textfreigabe angemerkt worden) – schließlich richtet sich die Textgestaltung, mit der Kunden in der Öffentlichkeit repräsentiert werden, danach. Bei internationalen Kunden müssen Beratende davon ausgehen, dass diese Kunden keine Einsicht in den deutschen Sprachdiskurs haben.
Integrierten PR-Schaffende ihre Klienten in den Diskurs, so sollten sie ihnen alle positiven und negativen Facetten der Debatte gründlich und objektiv erläutern, um sie in ihrer Meinungs- und Entscheidungsfindung zu unterstützen. Eine solche Erklärung kann jedoch nur dann kompetent erfolgen, wenn Beratende all ihre individuellen Erfahrungen, die sie bislang mit dem Diskurs (und dem Diskurs innerhalb der PR-Branche) gemacht haben, in solch ein Gespräch einfließen lassen – schließlich ist PR-Beratung zu anderen Diskussionsgegenständen auch nicht eine einfache Replikation, sondern beinhaltet immer die eigenen Erfahrungen mit dem jeweiligen Diskussionsgegenstand.
Daraus ergibt sich die Forderung, dass sich Beratende beruflich durchgehen und umfassend mit dem Gendersprachdiskurs befassen sollten. Nur so können sie ein möglichst objektives, holistisches Bild der Debatte zeichnen. Das ist kein Prozess von einer einmaligen Sitzung, sondern nimmt durch die Komplexität der Diskussion viel Zeit in Anspruch – letztendlich fordern Beratende ihre Kunden dazu auf, sich ein gesellschaftliches Urteil zu bilden, welches sich potenziell auf ihre Reputation auswirkt.
Für PR-Schaffende bedeutet das, dass sie die Umsetzung ihrer eigenen Ansicht zur Gendersprachpraxis in der beruflichen Textgestaltung so lange zurückstellen sollten, bis es einen Konsens beim Kunden gibt. Sie müssten somit bis auf weiteres das generische Maskulinum oder eine neutrale Form nutzen. Indem PR-Beratende ihre eigenen Ansichten und Erfahrungen jedoch zurücknehmen und den Kunden in erster Instanz mit einbeziehen, folgen sie nicht länger Willkür, sondern einem fachlich fundierten Plan. Ab der Entscheidung des Klienten über ein Dafür oder Dagegen von Gendersprache, folgen Beratende nur noch den Interessen des Kunden und handeln im Sinne des Kommunikationskodex.
Endstation Redaktionsvorgabe?
Mittels des Deutschen Kommunikationskodex lässt sich folglich eine begründbare Kundenstrategie zur Gedersprachpraxis erstellen.
Doch die eingangs erwähnte Erfahrung mit der Redaktion zeigt, dass es selbst bei Konsens zwischen Kunde und Agentur immer zu einem Konflikt mit der Presse kommen kann – der Instanz, die darüber entscheidet, ob ein Text veröffentlicht wird oder nicht.
Dieser Konflikt teilt sich in verschiedene Szenarien auf:
- Die Redaktion folgt einer Richtlinie: Praxis von Kunde und Redaktion stimmen überein
- Redaktion und Kunde gendern ihre Texte
- Redaktion und Kunde gendern ihre Texte nicht
- Die Redaktion folgt einer Richtlinie: Praxis von Kunde und Redaktion stimmen nicht überein
- Kunde gendert Texte, Redaktionsvorgaben lassen dies nicht zu
- Kunde gendert Texte nicht, Redaktionsvorgaben erfordern eine Gendersprachpraxis
- Redaktion folgt keiner Richtlinie:
- Kunde gendert oder gendert seine Pressetexte nicht: Redaktion hat keine Vorgaben. Es gilt im Zweifel das individuelle Urteil der Journalisten
- Die Reaktion überlässt die Gendersprachpraxis ungefragt den Agenturen und Kunden
Diese Szenarien zeigen, dass selbst wenn sich Kunde und Agentur auf eine Strategie für ein Dafür oder ein Dagegen geeinigt haben, diese Strategie nur dann funktioniert, wenn vorab bereits ein Konsens mit der Redaktion herrscht oder es der Redaktion (durch fehlende Richtlinien) „egal“ ist – und Journalisten sich individuell nicht für oder gegen die Praxis äußern. Da die Redaktion die Hoheit über eine Veröffentlichung hat, kann sie theoretisch in freien Stücken entscheiden, den Text ihren Regelungen anzugleichen – ob es Kunde oder Agentur wollen oder nicht.
Dieser Umstand würde eine Strategie zwischen Kunde und Agentur obsolet machen und hätte einzig den Vorteil, dass der Kunde in den Diskurs integriert würde und die Debatte gesamtgesellschaftlich so mehr Auftrieb erhält. Die Hoheit der Redaktionen würde aber auch bedeuten, dass sie darüber entscheiden können, welcher Praxis die PR in Zukunft folgen würde. Das wiederum eröffnet die Forderung an die Presse, Richtlinien zur Umgang mit dem Diskursgegenstand zu bilden. Offen bleibt dann jedoch die Frage, wie Redaktionen und Textlieferanten mit einem möglichen Konflikt ihrer Praxen umgehen. Schließlich geraten zwei verschiedene Interessen und Wertesysteme aneinander.
Fazit
Das vorliegende Gedankenexperiment verfolgt einen Anreiz dafür zu schaffen, Gendersprachpraxis in der Pressearbeit weniger willkürlich zu behandeln, sondern mit dem Kunden zu diskutieren und nach seinen Wünschen durchzuführen. Basis für die Argumentation ist die elfte Richtlinie des Deutschen Kommunikationskodex. Das Gedankenexperiment hat gezeigt, dass selbst wenn Kunden und Agenturen sich über eine Gendersprachpraxis einig sind, die Hoheit der Veröffentlichung letztendlich immer bei den Redaktionen liegt. Das bedeutet, dass Redaktionen (wenn es zum Konflikt der Parteien und ihren Praxen kommt) theoretisch frei entscheiden können, welcher Praxis sie folgen. In meiner bisherigen Berufspraxis habe ich jedoch erlebt, dass das Thema Gendersprache (auch wenn keine Strategie vorliegt) von den Redaktionen überwiegend akzeptiert wird. Eine Mischung aus Szenario drei und vier ist demnach bislang allem Anschein nach gängige Praxis – oder aber die Interessen von Textlieferanten und Redaktionen stimmen häufig grundlegend und ungefragt miteinander überein. Da Redaktionen Agenturen und ihren Kunden viel Spielraum einräumen, kann es aus meiner Sicht nicht schaden, wenn sich PR-Verantwortliche und ihre Kunden trotzdem strategisch (vielleicht auch im Sinne dieses Gedankenexperiments) mit der Gendersprachpraxis auseinandersetzen: Nicht zuletzt der Integration halber, sondern auch, um den Diskurs innerhalb der Branche weiter voranzutreiben.